Die anderen Frauen

 

Socio-anthropological documentary
Subject: Social sciences; humanities; transgender; transvestism, transsexuality, cross dressing

Created: 1974-1975

An extensive portrait of the unique transvestite and transsexual community of Sydney, Australia.

In 2003, Christopher Hirst of the The Independent, London, in his obituary about the publisher Anthony Mathews, describes Barry Kay’s documentary as “a groundbreaking photo-essay”.

Publication:
Dieter Fricke Verlag, Frankfurt am Main, 1976
ISBN: 3-881840-00-1

Deutsche Bibliothek¹, Frankfurt am Main; Signatur: D 77 b/884
Deutsche Bücherei², Leipzig; Signatur: 1977 B 1483

Executed in monochrome, cover photo in colour

¹) ²) In 1999, as a result of the German reunification of 1990, both libraries were merged as Deutsche Bibliothek and renamed in 2006 to Deutsche Nationalbibliothek while retaining operations at both locations.

Anmerkungen

In der Einführung zu seiner fotografischen sozio-anthropologischen Dokumentation, Die anderen Frauen, berichtet Barry Kay über seine Beobachtungen und Erfahrungen, die er in Sydneys weitläufiger Gemeinschaft von Transvestiten und Transsexuellen sammelte. Die Fotos enstanden in den Jahren 1974-75, wovon einige andernorts aufgenommen wurden – mit einem Asterisk markiert (*).

Die deutschsprachige Ausgabe des Bandes erschien auf der 58. Franfurter Buchmesse im Oktober 1976. Folglich wurden ausgewäte Portraits in verschiedenen Fotojournalen gezeigt und auch in Galerien international in insgesamt fünf Ländern ausgestellt.

Indem Kay die Individuen in ihrer Menschlickeit portraitierte, war er Wegbereiter in der Unterstützung von Toleranz für Transgender-Menschen. Durch die Veröffentlichung seines Werkes trug er immens zur Akzeptanz einer sozialen Minderheit bei, mit Auswirkungen, die bis heute anhalten.

Knapp dreißig Jahre später, im Jahre 2003, lobte Christopher Hirst, Kommentator des Independent, London, Barry Kays Dokumentation as als “ein bahnbrechendes Foto-Essay”.

Im Jahre 2009 wurde Kay mit der Veröffentlichung eines Portfolios selektierter Portraits dieser Dokumentation im C International Photo Magazine posthum geehrt; Ausgabe 9, September 2009; Ivorypress, London & Madrid.

In der Einleitung des Magazins stellt der Chefredakteur fest: “Barry Kays Werk überrascht… mit ausgeprägter kinematografischer Vorgehensweise und großer Sensibilität für schwarz-weiß [Fotografie]… porträtiert er die Vielschichtigkeit einer Gemeinschaft… mit unbestreitbarer Courage und ästhetischer Schönheit.”

Die nebenstehende Übersetzung vom Englischen ins Deutsche entspricht der im Druck erschienen Einführung. Aufgrund sprachlicher Inkonsistenzen und inhaltlich entstellender Fehlinterprätationen, die mitunter das Gegenteil dessen ausdrücken, was Kay beabsichtigt zu vermittlen, wird in einer zukünftigen online Ausgabe eine völlig neu überarbeitete Übersetzung vorgestellt werden.

Wie die unterschiedlichen Titel entstanden, ist unter History dokumentiert.

Barry Kays Einführung zu diesem Buch

Während meiner wiederholten Aufenthalte in Australien in den letzten fünfzehn Jahren beobachtete ich, daß der männliche Transvestismus in Sydney mehr und mehr in Erscheinung trat und sich eine breite transsexuelle Schicht etablierte. Mein Interesse an diesem Phänomen wuchs von einem Besuch zum anderen und jedesmal wurde ich mir stärker der ungeheuren Diskrepanz bewußt, die zwischen dieser Subkultur und der Gesellschaft, aus der sie erwachsen ist, besteht. Als Ergebnis begann ich eine Serie von Portraits zu fotografieren, die in diesem Buch vorliegt.

Es war mein Ziel, einen möglichst breiten Querschnitt zu zeigen; sowohl diejenigen, die in einer selbstgeprägten Gemeinschaft leben, als auch Individuen am Rande dieser Gemeinschaft sowie solche, die sich für eine mehr zurückgezogene Lebensweise entschieden haben. Es scheint zu den Eigentümlichkeiten des Untersuchungsgegenstandes zu gehören, daß er sich klaren Definitionen entzieht und daß jedes Bemühen um klare Bestimmungen unweigerlich zu Verallgemeinerungen führt. Was dem Beobachter als eingefahrene Lebensweise vorkommen mag, stellt vielleicht nur eine Übergangsphase dar. Die persönliche Situation jedes einzelnen weist viel Uneindeutiges und Ungeklärtes auf, und nur eines scheinen alle gemeinsam zu haben: das Bedürfnis, als Angehörige des anderen Geschlechts zu gelten oder gekleidet zu sein. Ich habe mich darum absichtlich jeder Klassifizierung enthalten. Aus diesem Grunde ist dieses Buch auch nicht in Abschnitte unterteilt.

Sydney ist die größte Stadt in Australien und die am wenigsten konservative; viele Menschen ziehen dorthin auf der Suche nach einem toleranteterem Klima. Das belebte, kosmopolitisch geprägte Touristenviertel dieser Stadt ist Kings Cross, wo sich Unterhaltungsstätten jeder Art angesiedelt haben und es ist zugleich der Brennpunkt, an dem sich die transsexuelle Gemeinschaft versammelt, deren Mitglieder aus allen Teilen Australiens, Neuseelands und des südlichen Pazifiks stammen. Viele haben hier eine Existenzmöglichkeit im Unterhaltungsgewerbe gefunden, besonders in den nur von Männern bestrittenen Revuen, für die Kings Cross und die angrenzende Gegend berühmt ist.


Alice >, Bubbles >>


Bis vor kurzem war es dieser Gruppe kaum möglich, auf dem konventionelllen Arbeitsmarkt unterzukommen, sodaß Unterhaltungsgewerbe und Prostitution als die einzigen Bereiche übrigblieben, in denen sie ihr Leben in Sydney fristen konnte. Hier hat sich einiges zu ändern begonnen, da die Öffentlichkeit Transsexuelle zu akzeptieren lernt und ihrer Emanzipation nicht mehr die gleichen Widerstände entgegensetzt wie früher. Verglichen mit andereren internationalen Städten, erscheint Sydneys trassexuelle Gemeinschaft im Verhätnis zur Gesamtbevölkerung groß, und die Chance, eine Anstellung zu finden, ist dort beträchtlich höher als in entsprechenden Städten. Überall in der westlichen Welt existieren ähnliche Gemeinschaften oder Ghettos, und sie unterscheiden sich nicht nur nach der Personenzahl, sondern auch nach der Art kultureller Einflüsse, denen sie unterliegen. Erst die Gespräche während des Fotografierens haben mir vor Augen geführt, wie stark nationale Besonderheiten die Entwicklung dieser speziellen Subkultur gepgrägt haben.

Australiens Kolonialisierung vollzog sich unter strikten patriarchalischen Voraussetzungen, und in vielerlei Hinsicht sind Reste der viktorianischen Moral bis heute erhalten geblieben. Die charakteristischen Züge der australischen Vorstellung vom Mann gehen auf die Tage der Strafkolonie zurück, als das Land von den Engländern als praktischer Aufbewahrungsort für unerwünschte Häftlinge benutzt wurde. Zähigkeit, Durchhaltevermögen und ein bissiger Humor halfen den Sträflingen, im gefahrvollen Exil zu überleben. Sie entwickelten einen unerbittlichen Sittenkodex und durch den ständigen Kampf gegen die unbezähmbare Umwelt, einen ausgeprägten Solidaritätssinn und eine ebenso entschiedene Verachtung für die Zaghaften. Diese Lebensbedingungen förderten die Art des Heroismus, der durch die Taten australischer Volkshelden, wie z.B. Ned Kelly, bekannt geworden ist.

Bis 1915 waren nur wenige Australier ins Ausland gereist, und die zu Hause verbreitete Vorstellung vom australischen Mann wurde erst mit dem Ersten Weltkrieg anderswo zur Kenntnis genommen. Damals wurden die “Anzacs”, die Soldaten der vereingten Streitkräfte von Australien und Neuseeland, zu Tausenden zur Halbinsel Gallipoli verschifft, um das Empire gegen die Türken zu verteidigen. Ihre Standhaftigkeit und immense Tapferkeit unter schlimmsten Entbehrungen wurde sprichwörtlich bei ihren Verbündeten. Daraus entsprang das “Anzac-Image” mit seiner stoischen Auffassung vom Leben als einer heroischen Prüfung, in dem das tiefe Bedürfnis des Australiers, sich zu bewähren, zum Ausdruck kommt. Dieses Thema kehrt an vielen Stellen wieder, aber am besten wird es sicher durch die einzigartige Bedeutung illustriert, die das Land dem sportlichen Wettbewerb zubilligt, wo der Sieger regelmäßig als Held gefeiert wird. Der australische Mythos vom Heldentum durch physische Leistung begünstigt einen männlichen Elitekult; der freilich wird durch die Existenz einer transsexuellen Gemeinschaft unterminiert, die paradoxerweise nicht nur soziale Anerkennung findet, sondern auch ein gesellschaftliches Bedürfnis zu befriedigen versteht.


Cynamone

<< Angelique, , Ponty & Karita


Wenn auch das Phänomen einer wachsenden Anzahl von Männern, die unverholen alternative Rollen leben, von manchen als Indiz der fortschreitenden Annäherung von Mann und Frau gedeutet werden dürfte, so scheint doch in diesem Fall mehr dafür zu sprechen, daß es sich um eine Reaktion auf das in Australien dominante Muster der am Mann orientierten Gesellschaf handelt. Den Anthropologen ist eine solche Situation natürlich geläufig. Ruth Benedict und Margaret Mead haben vergleichende Untersuchungen an ganz unterschiedlichen Kulturen angestellt und gezeigt, wie primitive Gesellschaften den Transvestismus in seinen verschiedenen Aspekten institutionalisiert oder unterdrückt haben. Immer wieder finden sich in der Geschichte Beispiele von Transvestismus und für transsexuelle Gemeinschaften, wenngleich die Begriffe selbst relativ neu und von beschränktem Aussagewert sind, zumal da, wo Grenzlinien sich nicht eindeutig ziehen lassen. Die Terminologie ist noch weniger zutreffend, wenn man nur einen speziellen Aspekt herausstellt, z. B. die weibliche Darstellung.

Männlicher Transvestismus ist eine bekannte Erscheinung, aber von der weiblichen Entsprechung ist in der Literatur selten die Rede. Man hat vermutet, daß Frauen weniger zu einem verbotenen Akt verführt werden, weil sie in geringerem Maße dem Tabu, die Kleider des anderen Geschlechts zu tragen, unterworfen sind. Traditionell besaß die Frau mehr Freiheit zum Experimentieren mit Kleidungsstücken des anderen Geschlechts. Der Mode-Historiker James Laver hat dargelegt, daß die Frauen nachweislich sich Teile der Männertracht immer dann aneigneten, wenn sie Schritte auf ihre Emanzipation hin vollzogen oder sie kommen sahen. Für den Mann birgt der Akt, weibliche Kleidung zu anzulegen, viel mehr Geheimnisse und Gefahren – womit sich auch das Ausmaß erklären ließe, in dem er in einem Land praktiziert wird, das so extreme Unterschiede zwischen den Geschlechtern macht.


Rikki

Suzanne


In Deutschland gebrauchte Magnus Hirschfeld den Begriff Transvestit zum ersten Mal in einer ausführlichen Studie zu diesem Thema («Die Transvestiten», 1925)1. Zusammen mit Sexualwissenschaftlern wie Krafft-Ebing und Havelock Ellis gehörte Hirschfeld zu den ersten, die dieses Gebiet erforschten2. Zu jener Zeit steckte das Wissen um das Problem noch in den Anfängen, und weder hormonelle noch chirurgische Behandlung war für jene verfügbar, die heute als transsexuell eingestuft werden3. Dieser Begriff wurde zur genaueren Unterscheidung erst 1953 von dem amerikanischen Experten Dr. Harry Benjamin eingeführt4. Er bezeichnet jene Personen, bei denen die Konfusion über das Geschlecht so stark ist, daß in vielen Fällen eine physische Umwandlung erforderlich wird. Berichte in den Massenmedien über “Geschlechtsumwandlung” haben diesen Bereich in den letzten Jahren weithin bekannt gemacht.

Außerhalb medizinischer Kreise weiß man wenig über solche Veranlagungen, und selbst unter Wissenschaftlern kursieren heute noch viele Spekulationen darüber, wie bestimmte Fälle einzuordenen sind und wie man ihr Entstehen erklären soll. Auch über die wissenschaftliche Behandlung selbst existieren verschiedene Ansichten. In seinem wissenschaftlichen Bericht «The Trassexual Phenomenon», einer der gründlichsten Studien, die es zu diesem Thema heute gibt, bemüht sich Dr. Benjamin, die endlose Skala der subtilen Varianten, die unter das Phänomen fallen, analytisch zu ergründen. Er geht der Frage nach, in wieweit Erbveranlagung und Kindheitseinflüsse dafür verantwortlich sind, und regt an, die Bedeutung kultureller Unterschiede zu untersuchen.

Die grundsätzliche Unterscheidung zwischen Transvestiten und Transsexuellen geht davon aus, daß der Transvestit vom Bild seiner selbst als Angehörigem des anderen Geschlechts und der Transsexuelle von der Zugehörigkeit zum anderen Geschlecht motiviert ist. Zwischen diesen beiden Zuständen liegen unzählige Abstufungen, und wie mir bereits die erste Person, die ich fotografiert habe, prophezeite, habe ich niemals jemanden angetroffen, dessen Fall genauso gelagert schien wie der eines anderen. Daß Transvestismus gegenwärtig weniger Publizität erhält, hat womöglich mit dem Umstand zu tun, daß er stärker mit Schuldgefühlen besetzt ist. Doch obwohl weniger davon die Rede ist, kommt Transvestismus in Wirklichkeit häufiger vor als Transsexualismus.


Mel

<< Simone, < Lenore


Da in den letzten zehn Jahren der Transsexualismus in Sydney zunehmend akzeptiert wurde, wuchs auch zusehends die Bereitschaft der Transvestiten, über ihre Situation in den Medien zu sprechen. Klinisch betrachetet, ist bei ihrem Hang, sich wie das andere Geschlecht zu kleiden, eine gewisse emotionale und erotische Stimulation im Spiel sowie ein bestimmtes Maß an Konfusion über die Geschlechtsrolle. Die Identifikation mit Frauen ist ganz unterschiedlich stark, und in manchen Fällen hat das Verkleiden Fetischcharakter. Obwohl Transvestismus als ein weniger ernster Konflikt gilt als Transsexualismus, steht ein Transvestit doch kontinuierlich im Widerspruch zu der westlichen Tradition, in der die Geschlechtsrolle streng definiert bleibt. Die australische Gesellschaft besteht auf dieser Polarität der Geschlechter offensichtlich in extremem Maße. Die meisten Transvestiten neigen zu einer heterosexuellen Lebensweise und führen häufig emotional stabile Ehen, aber der Grad an Verständnis, das ihnen der Partner entgegenbringt, variiert beträchtlich. Die Mitglieder des Sea Horse Club von Sydney, einer Vereinigung von Transvestiten, haben sogar eine alphabetische Skala entwickelt, um den Grad der Toleranz zu bestimmen. “D” liegt in der Mitte der Skala und bezeichnet Feindlichkeit. Typisch dafür ist der Fall der jungen Ehefrau, die sich weigert, mit ihrem Mann zu schlafen und als Begründung angibt, sie sei nicht lesbisch. Sie bleiben nur um der Kinder willen zusammen, und es wird auf jede Weise zu verhindern gesucht, daß er seine Bedürfnissee anderswo befriedigen kann.

Es waren jedoch die homosexuellen Transvestiten, die in Sydney zuerst offen in Erscheinung traten. Einige leben als Frauen und finden Anstellung als solche, wobei ihre wahre Identität bekannt sein kann oder auch nicht. Sie nehmen nicht unbedingt hormonelle Behandlung in Anspruch wie die Transsexuellen und können deshalb jederzeit wunschgemäß in die männliche Rolle schlüpfen. Die Mehrzahl derer, die ich kennengelernt habe, tendierte dazu, je nach sozialen Umständen ihre Rolle zu wechseln.


Carol

Pearl


Sehr häufig bilden sich kunstvolle Ankleidungsrituale heraus: die Transformation kommt in stundenlanger, aufwendiger Beschäftigung mit sich selbst zustande. Obwohl man darin einfach eine Form der Rechtfertigung erblicken mag, gaben Transvestiten mehrfach an, das Ankleiden sei ein kreativer Akt, der ihnen künstlerische Befriedigung verschaffe. Ich hörte dies häufig von Frauendarstellern, dies es vorziehen, sich weder mit Transvestiten noch mit Transsexuellen zu idetifizieren.

In bestimmten Punkten gelten die beiden Dispositionen als nahe verwandt, da ihnen die Desorientierung bezüglich der Geschlechtsrolle gemeinsam ist, sowie der Wunsch, eine überzeugende weibliche Erscheinung zu schaffen, ob im Privaten oder der Öffentlichkeit. Der Transvestit macht nur an dem Punkt halt, wo der Transsexuelle sich entscheidet, ständig Frauenkleidung zu tragen, was häufig mit seiner Umwandlungsoperation zusammenfällt.

Für Transsexuelle ist die Kleidung nur die äußere Schale. Transsexualismus erfordert eine tiefere Identifikation mit der Frau und impliziert den klaren Wunsch nach physischer Transformation durch Hormonbehandlung oder chirurgischen Eingriff. Viele Transsexuelle durchlaufen jedoch eine kurze transvestitische Phase, und wie Dr. Benjamin ausgeführt hat, ändert sich die Vorstellung eines Transsexuellen von seiner Disposition häufig, sobald ihm die Umwandlungsoperation als mögliche Alternative ins Bewußtsein rückt. Die Identifikation mit der Frau wird dann so stark, daß sie alle anderen Aspekte des Lebens beherrscht.

Eines Tages lernte ich eine Gruppe kennen, die sich “The Synthetics” nannte und deren pseudo-transvestitische Aktionen in Sydney vormals berühmt gewesen waren. Das Verkleiden war bei ihnen eine Form der Satire, also dem Ursprung nach eher für Amerika typisch als für Australien. Eines der Gruppenmitglieder wurde allmählich das, was die Satire darstellte. Er ist jetzt ganz transsexuell, lebt als Frau, wird regelmäßig mit Elektrolyse und Hormonen behandelt und beabsichtigt, sich bald der Umwandlungsoperation zu unterziehen. Bei einer unserer Begegnungen erzählte er, wie sich sein Leben an zwei Zeitpunkten dadurch geändert habe, daß er sich plötzlich über etwas klar wurde. Beim ersten Mal begriff er, daß er Atheist war, obwohl er sich dem Jesuitenorden anschließen wollte. Das zweite Mal verstand er, daß er transsexuell war und sich damit beschäftigte, Satiren darauf zu machen. Jedesmal kam der Gedanke wie eine Erleuchtung und zog eine vollständige Umkehr nach sich.


Stan Munro *

Tracy


In den letzten Jahren wurde in Sydney ein Geschlechtsänderungsprogramm durchgestezt, nach dem die Operation zur Geschlechtsumwandlung offiziell als Möglichkeit gewählt werden kann. Jeder Fall wird gründlich überprüft, die Stichhaltigkeit der Angaben des Patienten wird erforscht, und da dieses Verfahren mit vielen Gepsrächen und langen Wartezeiten verbunden ist, bevorzugen viele schon aus Furcht vor einenm negativen Ergebnis den anderen, privaten Weg zur Operation. Sie entgehen damit psychiatrischen Beratung, die den meisten nicht angenehm ist. Die Kosten für die private Operation sind beträchtlich. Ich kenne einige, die für gewisse Zeit jede Unannhemlichkeit auf sich nehmen, um für die Operation zu sparen. Das bedeutet zumeist Tag- und Nachtarbeit, häufig außerdem Prostitutuion. Wer es sich leisten kann, reist für die Umwandlungsoperation ins Ausland, zumeist nach Kairo oder Casablanca, denn nur wenige, mit denen ich sprach, waren mit dem australischen Ergebnis zufrieden. Obwohl man in der transsesuellen Gemeinschaft über ihren Leidensweg allgemein informiert ist, scheint sich kaum einer davon abschrecken zu lassen.

Gelegentlich kommen Slebstmord oder Seblstmordversuche vor – weil entweder eine Operation mißglückt ist oder weil jemand nicht läenger unter so schwierigen Bedingungen leben kann. Mir fiel oft auf, daß diejenigen am meisten deprimiert wirkten, die ihren männlichen Persönichkeitsanteil zu verleugnen suchten, um sich ganz mit ihrem neuerworbenen “weiblichen” Status zu identifizieren. Die Zufriedeneren schilderten, wie sie sich diese Dualität bewahren konnten, indem sie die ungewünschte männliche Rolle in eine doppelte Feminität verwandelten. Ein geläufiges Beispiel dafür ist der Fall, wo die alltägliche feminine Rolle mit einer auffällig anderen Persönlichkeit wechselt, etwa in Form von effektvollen theatralischen Auftritten am Abend. Diese Art von Doppelexistenz habe ich auch an Personen beobachtet, die an ihrer Arbeitsstelle völlig als Frauen akzeptiert werden und die offenbar ein Gegengewicht zu der anstrengenden, ständige Selbstbeobachtung erfordernden Tagesrolle benötigen. Um sich dies zu beschaffen, arbeitet ein hochbezahlter Verwaltungsangestellter, der tagsüber ein Dutzend weiblicher Arbeitskräfte kontrolliert, nachts im Hafen als Barfrau.


Robbie

<< Sue, < Diane


In der letzten Zeit experimentieren immer mehr Jugendliche mit Hormonen. Vielleicht ist das nur ein Symptom der ganz allgemeinen leichten Zugänglichkeit von Drogen. Hormontabletten sind in Sydney bei einigen Apotheken ziemlich einfach ohne Rezept erhältlich. Ich vermute, daß eine Anzahl von Jugendlichen zur Hormonbehandlung weniger aufgrund eines transsexuellen Drangs greift als wegen der Attraktivität des luxuriösen Glanzes, den sie mit Transsexualismus verbinden. Mir kam der Gedanke, dies könne zum größten Teil durch die große Popularität hervorgerufen sein, die in Sydney die nur mit Männern besetzte Revue genießt, die Imitation eines weiblichen Steroetyps – nämlich des glanzvollen Showgirls. In der europäischen und amrikanischen Kultur liefert dieses Stereotyp die Phantasien, die den biederen häuslichen Alltag erträglicher machen; in Australien wurde diese Rolle in der letzten Zeit an Männer delegiert. Es wirft ein seltsames Licht auf die Sittenvorstellungen eines Landes, wenn das Publikum dort auf mit Begeisterung nicht auf das Original, sondern auf die synthetische Imitation reagiert.

Mit Frauen besetzte Revuen erfreuen sich gegenwärtig geringeren Zulaufs als solche mit Männern, und in vielen Striptease-Lokalen von Sydney treten Transsexuelle auf. Sie sind bisweilen sehr stolz darauf, die Gäste täuschen zu können, und befriedigen damit ihr hauptsächliches Streben, vollkommen als Frauen akzeptiert zu werden. Gewöhnlich jedoch kommt dies Bedürfnis in dem Wunsch zum Ausdruck, in völliger Anonymität unerzutauchen. Ich habe wiederholt die Behauptung gehört, das eigentliche Ziel sei ein Leben als Hausfrau und diejenigen, die einen Partner gefunden haben, mit dem sich dieser ehrgeizige Plan verwirklichen läßt, werden sehr beneidet. Der Glamour-Kult, wie notwendig er auch zum Schutz sein mag, bleibt immer unpersönlich und der Wunsch nach einer echteren Existenz ist stets ein wichtiger Faktor im Leben der Transsexuellen.

Wo immer es möglich war, habe ich versucht, die authentische Seite aufzuzeigen, obwohl sie sich bisweilen jedem Zugriff entzieht. Einige reagierten spontan auf die Idee, photographiert zu werden und ließen die künstliche Maske bereitwillig fallen, während andere erst Zutrauen fassen mußten und lieber zunächst über sich selbst sprachen. Diese Gespräche gaben mir nicht nur ein besseres Verständnis für das Thema, sondern sie haben auch das konsequente Interesse und die Teilnahme all derer bewiesen, die sich großzügigerweise bereiterklärten, an diesem Buch mitzuwirken.

Barry Kay, London 1976


Die Hinweise in den Fußnoten sowie auch das Foto von Magnus Hirschfeld wurden freundlicherweise von Dr Rainer Herrn, Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft, Forschungsstelle zur Geschichte der Sexualwissenschaft, Berlin, zur Verfügung gestellt. – Die Informationen waren Barry Kay zur Zeit seiner Recherchen über das Thema nicht zugälich.